Ausstellung Thomas Mann
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
schon kurz nach Verschicken der Einladung zu dieser Ausstellung habe ich die Frage zu hören bekommen:
Wer stellt aus – Thomas Mann?
Lebt der noch?
Und malt der jetzt?
Lässt der jetzt ein Zauberwerk seinem Zauberberg folgen?
Ja dieser Thomas Mann hier der lebt glücklicherweise noch und er ist glücklicherweise für uns als Künstlerbund auch kein Mann der großen Worte sondern ein Mann der Bildsprache, die sich nun hier in den Räumen ausgebreitet hat.
Diese Ausstellung mit Gemälden von Thomas Mann ist ein wunderbares Beispiel dafür,
wie die zeitgenössische Kunst selbst bei auf den ersten Blick traditionell erscheinenden Leinwandbildern moderne Techniken aufgreift und damit die traditionellen Techniken zeitgemäß umwandelt. Denn die Malerei auf Leinwand, die Thomas Mann hier zeigt ist eine digitale Malerei, die am Computer entsteht und auf Leinwand ausgedruckt ist. Die Bilder sind dennoch so malerisch, dass ich glaube, dass man sehr wohl von Malerei sprechen kann.
Es handelt sich dabei um wirklich Moderne Kunst, denn diese ist tatsächlich nur dann modern, wenn sie zeitgenössische Entwicklungen der Gesellschaft und deren zur Verfügung stehenden Techniken aufgreift. Und je schneller sich die Technik in unserer industriellen Zivilisation verändert, desto schneller werden sich auch Kunsttechniken verändern und die Kunstgattungen erweitern.
Als ich vor fast 50 Jahren mit dem Kunststudium begann, schien die traditionelle Kunstwelt noch in Ordnung. Man konnte sich einschreiben in Klassen in denen Jahrhunderte alte Techniken weiterhin praktiziert wurden, wie Ölmalerei, Zeichnung und Druckgrafik mittels Holzschnitt, Radierung und recht modern damals Lithografie,
eine Technik des 19. Jahrhunderts. Als dann in der Mitte meines Studiums Klassen für Fotografie und Film eingerichtet wurden gab es tatsächlich noch heftigen Widerstand von einem Teil der traditionsbewussten Professoren, obwohl die Realität schon längst Foto und Film als Kunstform etabliert hatte und auch die Maler schon seit dem Impressionismus Fotos als Inspirationsquelle benutzten und der Fotorealismus gerade die Dokumenta erobert hatte. Zu dieser Zeit wurde dann auch der Siebdruck erst in die Druckgrafikklasse integriert. Immerhin war der Siebdruck schon fünfzehn Jahre zuvor eine Triebfeder für die Pop-Art geworden. Zum Ende meines Studiums wurde dann ganz modern ein riesiger Computerkasten angeschafft mit Hilfe dessen Schrift gesetzt und gedruckt werden konnte, nachdem wir Studenten bis dahin unsere Plakate und Buchseiten noch mit Bleilettern mühsam Buchstabe für Buchstabe gesetzt hatten. Dieser riesige Computer konnte damals noch sehr wenig. Da darf man gar nicht daran denken was heute ein kleines Smartphone so alles kann.
Und natürlich hat die Entwicklung von Computern nicht nur die Typografiegestaltung verändert sondern hatte auch Folgen für die verschiedensten anderen Kunstgattungen
und sogar für die eigentlich traditionelle Leinwandmalerei.
Und so gestalten heute gerade ältere Maler ihre Gemälde mit dem Computer. So zum Beispiel Gerhard Richter oder David Hockney. Und auch Mitglieder des Künstlerbundes haben schon eine Menge Bilder am Computer entstehen lassen. Ausgestellt waren solche schon von Arnold Wühl, Karin Germeyer-Kihm und von mir selbst. Und trotz des Einsatzes einer Maschine sind die Werke eines jeden einzelnen Künstlers genauso individuell und unterschiedlich im jeweiligen eigenen Stil, wie bei handgemalten Bildern. Das liegt daran, dass jeder einzelne Künstler die Bildbearbeitungs- und Malprogramme ganz unterschiedlich kreativ einsetzt oder gar missbraucht in seinem Sinne und passend zu seiner Idee. Letztlich bieten die Programme ja auch nur einen Werkzeugkasten, aus dem man sein Werkzeug auswählen kann und in unendlich vielen Varianten und Kombinationen benutzen kann. Darunter sind auch verschiedenste Pinsel und Stifte. Eigentlich unterscheidet sich der künstlerische Findungsprozess gar nicht so sehr von der traditionellen Pinselmalerei mit der Hand. Ich glaube sogar, dass es gerade deshalb sehr erfahrene Maler sind, die jetzt auf die Malerei mit dem Computer umgestiegen sind, weil der Findungsprozess und die Vorhersehung des gewünschten Ergebnisses komplexer und schwieriger ist als beim leichter überschaubaren Bildaufbau mit realen Werkzeugen in der Hand.
Jeder Maler, der diese zeitgemäße Möglichkeit der digitalen Malerei wählt, muss also sehr phantasievolle eigene Ideen haben, um Bildprogramme für sich auf ganz eigene Art einzusetzen. Dann gelingt es dem Künstler manches Mal den Computer beim Malen zu nutzen wie ein Gerät zum Zaubern von Bildern. Und so können Werke entstehen wie hingezaubert, ein Zauberwerk.
Und da sind wir jetzt konkret bei den Malereien von Thomas Mann angekommen.
Aufgrund jahrzehntelanger Erfahrung im Umgang mit solchen Bildprogrammen im Bereich des Design, ist er in der Lage aus den vollen Möglichkeiten zu schöpfen. Und das sieht man den hier gezeigten Werken von ihm auch an, denn sie nutzen vielfältigste Möglichkeiten von malerischen Effekten, von Strukturen und von räumlichen Schichtungen. Und weil er so viele Möglichkeiten hat, konnte Thomas Mann verschiedenartige Bildbereiche für sich entwickeln. Und zwei solch gänzlich unterschiedliche Gestaltungsbereiche stellen wir hier heute vor. In jedem der beiden Räume zeigt Thomas Mann je einen eigenen Bereich seines Schaffens.
In diesem Raum hier sehen wir seine phantastischen, seine surrealen Gemälde.
Ausgangspunkt für diese Gemälde sind Fotos banaler Motive, wie ein Fahrrad, ein Bügeleisen oder ein Tintenfisch. Dabei schafft der Künstler zunächst durch unterschiedlichste Manipulationen des als Grundlage genommenen Fotos eine Grundstruktur bunter Farbflecken, Striche, Strukturen und Muster bereichert durch Überlagerungen und Transparenzen. Er übermalt, zersplittert und verändert das Ausgangsmaterial, also die Ausgangsfotos, so lange bis sie nicht mehr als solche erkennbar sind – bis die ehemaligen Motive total verschwunden sind.
An diesem Punkt angekommen versucht der Künstler nun seinen Visionen nachzugehen beim Betrachten des entstandenen Farbflimmerns. Er träumt sich quasi in sein Farbgewirr. Er lässt sich leiten von seinen Assoziationen – von dem was er glaubt in den Strukturen zu erkennen. Und da sieht er plötzlich Saurier, Figuren, Landschaften und Phantasiewesen auftauchen aus dem Farbenspiel. Und diese Elemente seiner Visionen arbeitet er im nächsten Schritt heraus bis auch wir als Betrachter diese Figuren sehen können und an seinen Assoziationen teilhaben können.
Wenn wir das 1.Bild an der langen Wand gegenüber des Eingangs betrachten, so erkennen wir zwei Saurier, bei denen wir das Knochengerüst durch die äußere Haut durchscheinen sehen. Dieses Knochengerüst entwickelte sich aus Fahrradspeichen, die der letzte Rest sind von dem Ursprungsfoto, das ein simples Fahrrad zeigte.
Das Bild daneben, das 2.Bild der langen Reihe zeigt wiederum einen Saurier. Warum der Künstler des Öfteren Visionen von Sauriern hatte, kann ich Ihnen auch nicht beantworten. Der Künstler weiß das wahrscheinlich aber auch nicht, denn solche Visionen kommen aus dem Unterbewusstsein. Da kann man nur spekulieren. Vielleicht hat er zu oft den Film Jurassic Park gesehen, oder er bekam als Kleinkind statt des üblichen Teddybärs einen Saurier von Steiff geschenkt. Aber verlassen wir die Spekulation und kommen zum konkreten Saurier zurück. An dessen Schwanz findet man kleine Auswüchse, wie Saugnäpfe erscheinend. Und tatsächlich ist das der letzte Rest des Ausgangsfotos für dieses Bild, das einen Tintenfisch darstellte. Und an den Armen des Tintenfisches befanden sich Saugnäpfe.
Solche traumhaften Visionen hat fast jeder von uns schon mal gehabt, indem er im Halbdunkel etwa in Fließen oder Holzstrukturen plötzlich schon einmal Figuren zu sehen glaubte. Nur haben wir sie nicht sichtbar für Andere gemacht und unsere Visionen für uns behalten. Und wenn es nicht zu Auswüchsen von Visionen kommt, geht auch niemand zum Arzt. Denn stellen sie sich vor, sie gingen zum Arzt und erzählten diesem, sie hätten wiederholt Saurier gesehen. Dann müssten sie schlimmstenfalls damit rechnen, dass der Arzt Ihnen erzählt, er habe heute morgen schon einen Saurier in seiner Praxis behandelt.
Der berühmte Surrealist Max Ernst hat aufgrund solcher Visionen in einem Holzfußboden die Technik der Frottage erfunden. Max Ernst sah so eines Tages in den Holzdielen eines Gasthauses im Halbdunkel Figuren und phantastische Wesen auftauchen. Daraufhin rieb er die Holzstruktur des Bodens mittels eines Bleistiftes auf Papier durch und ergänzte das Ergebnis des Durchreibens zeichnerisch so, dass wir seine Visionen nacherleben können.
Und auch in den Strukturen des Ergebnisses des Abklatschverfahrens mit Ölfarbe sah Max Ernst phantastische Welten, oft Urwälder, die er dann herausarbeitete.
Bei Thomas Mann entstehen solche Visionen mit seiner zeitgemäßen digitalen Technik. Seine Visionen unterstreicht er mit ebenso phantastischen Titeln, die dem Betrachter das Nacherleben erleichtern sollen. So entstehen Fantasiewelten mit Bildtiteln, wie Voodoosonne, Blumenfisch, Nixenmuschel, Lagunennacht oder Zufallsliebe. Und weil diese Bilder so reizvoll strukturiert sind und so liebevoll mit Transparenzen und dem Raum spielen, erscheinen sie dem Betrachter wie märchenhafte, zauberhafte neue Welten, wie ein Zauberwerk, was uns wieder zum Titel der Ausstellung führt.
Das Zauberwerk ist entrückt von unserer sichtbaren Normalwelt. Es geht zwar von Bildern unserer Alltagswelt aus, verfremdet diese aber zum Surrealen. Das Wortspiel mit dem Buchtitel Zauberberg hat auch noch eine inhaltliche Parallele. Denn die Hauptfigur des Zauberbergs entrückt sich auch von der Welt des Normalen in die Bergwelt von Davos und erlebt dort in einem Traum im Schnee Fantasiefiguren ähnlich derer, wie wir sie hier bildhaft im Zauberwerk erleben dürfen.
Im zweiten Raum sehen wir eine ganz andere Bilderwelt von Thomas Mann, die ganz ungegenständlich mit den bildnerischen Elementen Linie, Fläche, Raum und Farbe spielt.
Dabei erkennt man meist eine geometrische Grundstruktur, etwa von runden Scheiben, die sich aber auflöst in freie Farbelemente. So entsteht ein sehr reizvolles Spiel zwischen geometrisierten und freien Formen. Die Formelemente sind oft wie in Bewegung zueinander angeordnet, so dass eine ungemeine Dynamik in den Bildern entsteht. Obwohl diese Bilder sehr farbprächtig sind, sind diese dennoch meist einem dominierenden Farbklang unterworfen, was sie prächtig und edel wirken lässt. Ihr Reiz liegt in der Verbindung des Gegensatzes von geometrisierten starren Elementen und der dynamischen Bewegung in die diese Elemente gebracht werden.
Obwohl diese Malereien gänzlich als ungegenständliche Bilder wirken, haben sie dennoch einen gegenständlichen Ausgangspunkt auf den wir durch den Titel dieser Bilderreihe gestoßen werden. Thomas Mann nennt diese Serie ‚Blister – Tray – Bilder’.
Denn Ausgangspunkt eines jeden Bildes dieser Serie ist ein sogenannter ‚Blister – Tray’.
Unter einem Blister – Tray’ versteht man eine meist aus Plastik gefertigte Transport – Fläche für Kleinteile, die für jedes Einzelteil eine unverdeckelte Einbuchtung oder einen kleinen Napf – eben einen Blister besitzt.
Und Thomas Mann hat als ‚Blister-Tray’ solche Plastikteile für Pralinen verwendet.
Als Ausgangspunkt für ein Gemälde dieser Serie hat er dann ein solches Plastikteil eingescannt und dann diesen Scan bearbeitet und übermalt mit Werkzeugen eines Bildbearbeitungsprogramms bis es seinen Vorstellungen als Ergebnis entsprach.
Im Prinzip ist das Plastikteil ein Ready-made, wird aber nicht wie im Dadaismus einfach als provokantes Objekt der Antikunst ausgestellt, sondern es dient als Ausgangselement für ein ästhetisches Kunstwerk und ist auch ohne dieses Wissen in seiner ursprünglichen Form nicht mehr zu identifizieren.
Um vielfältige Varianten zu gestalten hat der Künstler viele verschiedene solcher Pralinenpackungen benötigt.
Und da sieht man mal wieder wie sehr ein Künstler leiden muss für seine Werke, denn das waren schon sehr viele Pralinen, die der Künstler essen musste für diese Bilderserie.
Und wenn man da erst an die Schnapspralinen denkt. Da hätte man auch an einen Ausstellungstitel wie ‚Bunt und Blau’ denken können. Bunt als Charakterisierung für die farbkräftigen Bilder und Blau für die Charakterisierung des zeitweiligen Zustands des Künstlers aufgrund des Pralinenschmauses.
Um so mehr ist zu hoffen, dass die Betrachter am Augenschmaus dieser Ausstellung Spaß haben. Somit ist diese Ausstellung eröffnet.
Günter Zink