Rede anlässlich der Ausstellung im Künstlerbund Speyer am 1.4.2022
Maria Leitmeyer M.A.
Kunst ist der Schlüssel zur Gegenwart. Entstanden vor dem Hintergrund einer jahrhundertelangen Tradition wird sie zum Kondensat aktueller Lebenswelten und transportiert diese für die kommenden Generationen in die Zukunft. Kunst wird zum Seismografen ihrer Zeit. Mit seiner ganz individuellen Bildsprache wird der Künstler damit zum Chronisten sich verändernder Lebensräume und Gedankenwelten. Bereits vor mehr als 30.000 Jahren haben die Menschen der Steinzeit ihre Welt dokumentiert. Mit den Mittel der Malerei senden die Darstellungen in frühgeschichtlichen Höhlen die ewige Botschaft des immerwährenden Grundbedürfnisses des Menschen, seine Umwelt bildlich festzuhalten und zu gestalten. Eine wichtige Rolle spielt dabei Technik der künstlerischen Umsetzung. Auf die längste und ungebrochenste Tradition können die klassischen Gattungen der Malerei, der Bildhauerei und letztlich der Architektur zurückblicken. Stets haben wandelnde Mittel und technische Möglichkeiten neue Wege und damit innovative Gestaltungsformen geöffnet. Neue Rezepturen von Pigmenten und Bindemitteln ermöglichen andere Arbeitsmethoden und künstlerische Ergebnisse. So tritt neben die Temperafarben die Ölmalerei, gefolgt von den Acrylfarben. Erstmals in Tuben vor-konfektionierte, schnell trocknende Farben gaben den Künstlern der Pleinair-Malerei die Möglichkeit, außerhalb ihres Ateliers, im Freien, vor Ort, zu malen und beförderten damit den spontanen Duktus impressionistischer Gemälde.
Viele Jahrhunderte war die Malerei das einzige Medium, die Wirklichkeit 1:1 abzubilden. Wo heute ein schnell mit dem Handy geschossenes Foto in der Geschwindigkeit von Sekunden einen Adressaten auf der ganzen Welt erreicht, benötigten die Menschen der Vergangenheit weitaus mehr Aufwand. Wer es sich leisten konnte bestellte einen Maler, der in vielen Stunden des Modelsitzens ein Porträt herstellte. Das Gemälde wurde dann mit der Kutsche zu seinem Empfänger gebracht. Anders war es nicht möglich, das Abbild eines Menschen, eines Ereignisses oder einer Landschaft herzustellen. Vor diesem Hintergrund wird mehr als verständlich, dass den Gemälden eine große Bedeutung zugemessen wurde und die Künstler selbst als Magier ihrer Zeit galten.
Als schließlich die Fotografie als perfektes und schnelles Mittel zum dauerhaften Abbilden der Wirklichkeit erfunden war, konnte die Malerei in der Moderne neue, eigene Wege gehen. Anstelle der realen Wiedergabe ihrer Umwelt öffnete sich ihr die grenzenlose Freiheit, eigene Bildwelten zu schaffen. Das Malen wird zum Sich-Ereignen, befreit von den bisherigen gesetzmäßigen bildnerischen Mitteln. Zugleich haben sich die Künstler jedoch vom technischen Fortschritt nicht abgewandt, sondern ihn für ihre Zwecke gewinnbringend eingesetzt. Porträts konnten nach zuvor gefertigten Fotografien gemalt werden, Landschaftsaufnahmen dienten als Erinnerungsstütze für in der Natur begonnene und im Atelier finalisierte Gemälde. Die Liste der Meilensteine der Kunstgeschichte, in der technischer Fortschritt Einfluss auf die Kunstschaffenden und damit auf ihre künstlerische Arbeit genommen hat, könnte noch lange fortgesetzt werden – bis zum heutigen Abend.
Die digitale Welt und die damit verbundenen Möglichkeiten haben unsere Gegenwart und unseren Alltag von Grund auf revolutioniert. Auch in die Kunstwelt hat die Digitalisierung längst Einzug genommen. Günter Zink und Thomas Manelli Mann nutzen die technischen Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung bereits seit vielen Jahren für ihre künstlerischen Arbeitsprozesse. Sie haben der heutigen Ausstellung den Titel verliehen: What you see ist what you get“ – Ein Titel aus der Computerwelt, abgekürzt WYSIWYG. Sie werden sich erinnern, als Anfang der 90er Jahre die ersten Programme der Textverarbeitung in Echtzeitdarstellung erschienen sind. WYSIWYG bedeutet, dass ein Dokument während der Bearbeitung am Bildschirm genauso angezeigt ist, wie es auch anschließend gedruckt wird.
In Bezug auf die heutige Ausstellung deutet der Titel jedoch nicht nur auf die digitale Welt, sondern weist darauf hin, dass der Betrachter das erhält, was er sieht. Gemeint ist damit die Freiheit seiner Assoziation, geleitet von den Chiffren, Formen und Farben der Kompositionen der ausstellenden Künstler Günter Zink und Thomas Manelli Mann. Sie sehen Werke, die in den letzten beiden Jahren der Pandemie entstanden sind. Günter Zink hat sich während der Corona-Krise erstmals in seinem Oeuvre der Landschafts-darstellung gewidmet und in den letzten beiden Jahren insgesamt 113 Werke zu diesem Thema geschaffen, wovon sie heute eine Auswahl sehen können. Alle sind am Computer entstanden und dann auf Leinwand gedruckt. Auch Thomas Manelli Mann arbeitet prinzipiell hauptsächlich am Computer. Sicherlich sind Ihnen seine farbintensiven, surrealer Wesen bekannt, die er am Computer aus mikroskopisch kleinen Bildfragmenten aus dem Internet entstehen lässt. Die heute hier ausgestellten, dynamischen Fantasie-Kreaturen setzten diese Werkgruppe in Thema und Duktus fort. Sie sind jedoch ausschließlich ganz analog, mit der Hand und dem Tuschepinsel gemalt und bevölkern sozusagen die ausgestellten Landschaften von Günter Zink.
Günter Zink befasst sich seit neun Jahren intensiv mit der digitalen Kunst. Stets ist er auf der Suche, dem bis ins Detail perfektionierten Medium der digitalen Bildbearbeitung seine ganz persönliche malerische Textur zu verleihen. Nun ist er am Ziel angekommen: In den heute ausgestellten Landschaftsbildern ist es dem Künstler gelungen, individuelle malerische Elemente und digitale Bildbearbeitung zu einer kraftvollen Einheit zu verbinden. Ausgangspunkt sind analoge Pinselstriche, nach den Prinzipien der gestischen Malerei der informellen Kunst aufs Papier gebracht. Diese werden eingescannt und dann zu Collagen zusammengefügt. Die so entstandenen Kernkompositionen dreht und wendet Günter Zink, bis er darin die Keimzelle seiner imaginären Landschaften findet. Dann arbeitet er daran weiter, fügt Horizont, Wasser, Farbflächen, Linien und Muster aus dem unerschöpflichen Fundus der digitalen Bildbearbeitung hinzu. Schicht für Schicht legt er diese Elemente übereinander. Es entsteht ein lebendiges Spiel zwischen Transparenz und gedeckten Simultanwerten, das den Kompositionen eine ungeheurere Kraft verleiht. Es entstehen imaginäre Landschaften, die ganz ohne gegenständliche Elemente wie Pflanzen, Meere oder Himmel auskommen und ausschließlich mit der Assoziations-fähigkeit der Betrachtenden spielen. Günter Zink nutzt die Symbole, Farben, Texturen, die mit Landschaft konnotiert werden und geht damit in Tuchfüllung mit der Illusion. Das Geistige materialisiert sich. Vermeintlich pastose, dreidimensionale Strukturen des Farbauftrags gestalten sich aus der Nähe betrachtet als spiegelglatte Oberflächen des Digitaldrucks auf der Leinwand. Günter Zink hat mir verraten, dass während seines Kunststudiums eine möglichst glatte Maloberfläche als Qualitätsziel galt. Dies erreicht er nun im digitalen Ausdruck, ohne jedoch die Vielschichtigkeit des pastosen malerischen Duktus dafür aufgeben zu müssen. Es entstehen Unikate, absolut persönliche Werke, von hoher farblicher Brillanz und kompositorischer Dichte, in denen sich gestische Malerei, persönlicher Pinselduktus und digitale Möglichkeiten kongenial ergänzen.
Auch in den Werken von Thomas Manelli Mann spricht die Malerei eine eigene autonome Sprache aus Formen, Farben und künstlerischem Duktus und schafft so eine Bildwelt jenseits der realen Wiedergabe. In der gestischen Aktion fertigt Mann ungegenständliche Tuschezeichnungen. Diese spontan aus dem Unterbewusstsein geschaffenen Kompositionen dreht und wendet er – wie auch Günter Zink-, bis er darin den Ausgangspunkt für ein tierähnliches Wesen erkennt, das er anschließend durch das Hinzufügen farblicher Akzente in Buntstift oder Aquarellfarben lebendig werden lässt. Indem er den ungegenständlichen Kompositionen Insignien tierischer Wesen hinzufügt, verankert er die aus der Freiheit der künstlerischen Imagination entstandenen abstrakten Kompositionen in unserem Wahrnehmungsraster der Realität. Ungegenständlicher Gestus und figürliche Zeichnung bilden so eine ausdrucksstarke Einheit. Thomas Manelli Mann arbeitet rein assoziativ. In der Rückbesinnung auf den künstlerischen Geist der Gruppe CoBrA ist für ihn die Freude am spielerischen Gestalten nie gekannter Geschöpfe mit den Mitteln der Form und der Farbe der besondere Reiz. Im Sinne der informellen Malerei oder des Tachismus ist zudem der Einfluss der chinesischen Kalligrafie zu erkennen. Die ausdrucksstarken, surrealen Fantasiewesen von Thomas Manelli Mann stehen an der Schwelle zwischen Abstraktion und Figuration. In der Freiheit ihrer Darstellung öffnen sie den Betrachtenden vielfältige Deutungsmöglichkeiten.
Und damit möchte ich zurückkommen auf den Ausstellungtitel: What you see ist what you get. – Du bekommst das, was Du siehst. Die heute gezeigten Werke von Thomas Manelli Mann und Günter Zink eröffnen vielschichtige Assoziationsräume, die uns Betrachtende in imaginäre Welten entführen. Bei dem Rundgang durch die Ausstellung begibt sich ein jeder auf seine ganz individuelle Gedankenreise, geleitet von seiner ganz persönlichen Erfahrung und Wahrnehmung. Günter Zink und Thomas Manelli Mann nutzen die Möglichkeiten modernster Technik und verankern ihre Kunst in der aktuellen Gegenwart. Zu allen Zeiten ist die Kunst ein Ausdruck des Lebens, ein Aufzeichnen des gelebten Augenblicks, bestimmt von Handlung, Aktion, Werden und Vergehen. Kunst ist die Essenz ihrer Zeit und damit unserer Gegenwart. An der Schnittstelle zwischen Tradition und Innovation geben auch Günter Zink und Thomas Manelli Mann mit ihren kraftvollen, hochaktuellen Werken den Staffelstab der Kunstgeschichte weiter in die Zukunft.
Fotos: Günter Zink, Christoph Anschütz, Ilse Zink
Weitere Infos: Thomas Manelli Mann I Günter Zink