Fotos: Nicolas Witschi
Ausführliche Information:
Pictures at the exhibition - tour
Fotos: Reinhard Ader
Gedanken zur Werkausstellung von Nicolas Witschi
Lassen Sie mich Ihnen ein paar Gedankenanstöße zum Werk unseres Stipendiaten mit auf den Weg geben – wobei ich sagen muss:
Jedes Mal, wenn ich mich hinsetzte, um mir über die Arbeit von Nicolas Witschi Klarheit zu verschaffen, ihn sozusagen fassbar zu machen, geriet mein Gedankengang zwischen Materialität, Form und Auflösung ins Philosophische, in ein Wegdriften ins Unermessliche – ich kam mir vor wie ein Stein, der in einem Mörser zu Pulver verarbeitet, gerade eine Formumwandlung erfährt.
Bitte entschuldigen Sie, wenn ich diesen Sachverhalt der Transformation nur laienhaft antippe, worüber man eigentlich ein ganzes Buch schreiben müsste – oder sein Leben damit zu widmen beabsichtigen sollte – Nicolas Witschi scheint diesen Weg eingeschlagen zu haben, und,
bevor wir uns dieser hochkomplexen physischen und philosophischen Materie „nähern“, erlauben Sie mir einen kleinen Schlenker, der uns unsere eigene „Lebenswelt“ vor Augen führen soll:
Wird nicht so gut wie fast alles für den Konsumenten vorproduziert, mundgerecht, gedankenverpackt, in feine Häppchen gestückelt, zum Hinunterschlucken vorprogrammiert?
Die fertigen Farbtuben, die allabendliche Fernsehshow, der in Folie verpackte, gewaschene und vorgeschnittene Salat? Wir müssen nur noch einwerfen, kaum noch kauen, einfach schlucken und dann verdauen.
Und da kommt einer her, der gegen den Strom arbeitet, der mit eigener Hand sucht, jagt, findet, zerschlägt, ordnet …
Der Welt der festen Begriffe wird der Boden entzogen.
Oben und unten scheinen aufgehoben.
Die Welt der festen Bestandteile erlebt eine Transformation.
Die Welt, bestehend aus Erinnerung, Wissen und Erfahrung, müssen wir uns neu vergegenwärtigen in einer Dimension von Zeit.
Und einer Dimension von Energie, wodurch Materialität ein neues Sein erfährt.
In universaler Betrachtung könnte man sagen:
Aus einem Nichts, einem Fast-Nichts, einem Etwas, können mittels Energie Welt-Räume entstehen.
Energie + Zeit = Transformation.
Ich weiß nicht, ob man diese Komplexität so einfach ausdrücken kann, – aber ein ahnungsloser Wanderer im Nebelmeer klammert sich an jeden Strohhalm!
Retten wir uns, indem wir den Spuren nachforschen, die die Zeit in diesem Transformationsprozess hinterlässt.
Der Begriff von Zeit ist nicht mit unserer Uhr-Zeit zu verwechseln, sondern Zeit als etwas, das Materie entstehen und vergehen lässt. Zeit, als etwas kaum Fassbares oder als etwas, das unser Leben auf diesem Planeten bestimmt.
Das Suchen, das Jagen, das Finden, das Zerstören erfährt eine Neubewertung durch den Künstler, findet Gestalt durch Schichten über Schichten anhand des Materials, das er sich erarbeitet hat.
Diese Schichtungen kann man vergleichen mit dem, was in Jahrmillionen ge-worden ist:
Mit dem Prozess der Eruption, der Zerstörung, der Veränderung durch ungeheure Kräfte, des Erkaltens, des Fließens und der Verwitterung.
Diese Umwandlung wird, – symbolisch gesehen -, von Nicolas Witschi gestoppt, indem er winzigste Elemente – hier: Gesteinsbrocken und das von ihm daraus produzierte Mehl, auf einem „Bildträger“ (= Leinwand) fixiert.
Auf diesem Bildträger können wir die in einem langwierigen zeitlichen und kräftezehrenden Prozess aufgetragenen Materialien auf neue Weise entdecken und deren Neubewertung nachvollziehen.
Es entstehen die Werkreihen „Matterhorn“- Schweiz, „Carrara“ mit seinem hellen Marmorgesteinsmehl und die Reihe „Speyer“, aus einem Stoff gestaltet, der seit Urzeiten hier in der Pfalz in unergründlichen Tiefen manifest und auf der Oberfläche in vielfältiger Weise geformt scheint: Gelber und roter Sandstein.
In feinen Schichtungen entstehen subtile Farbnuancen, Formflüsse, Formübertragungen, Formerzeugnisse, kurz: Formationen, die gegenständlich und ungegenständlich an das erinnern, woraus sie genommen sind:
Winzigste Bruchstücke unserer Erdgeschichte.
Diese werden visuell und haptisch erfahrbar, sozusagen über diesen Transformationsprozess in unser Wohnzimmer transferiert.
Aber nicht, wie es viele neue Medien vorführen, als etwas Illusionistisches, nicht Greifbares, Flüchtiges, eigentlich gar nicht Vorhandenes, sondern als taktiler, haptisch wahrnehmbarer Bestand. Etwas, was man im wahrsten Sinne des Wortes „besitzt“.
Aber Vorsicht: Dieser „Besitz“ ist nicht einfach greifbar oder zu begreifen, nicht fest geformt, bis in alle Ewigkeit geprägt wie eine Skulptur, sondern gerät – und das ist das immer wieder Überraschende – in eine fast wieder flüchtige Form – oder soll ich sagen in eine gegenstandsbezogene Form-Losigkeit?
Hier scheint Nicolas Witschi zum Impressionisten zu werden, zu einem Macher, einem Maler, der mit seiner Arbeit die Flüchtigkeit, die Veränderung des Seins aufzeigt.
So, als sei die scheinbar unverrückbare Festigkeit einer Felsformation bzw. der Boden, auf dem wir stehen, nichts weiter als ein flüchtiger Schatten, der über unsere Gesichter huscht. –
Ohne jeglichen Bestand, in fortwährender Auflösung begriffen, bodenlos schwebend in Zeit und Raum.
Reinhard Ader, September 2019
Fotos der Vernissage
Fotos: © Kurt Keller